Experten fordern vorübergehenden Stopp der Schul-Digitalisierung wegen negativer Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche.
Forscherinnen und Forscher aus Deutschland, Österreich und der Schweiz haben in einer aktuellen Debatte über den Digitalpakt Schulen gefordert, die Digitalisierung an Schulen und Kindertagesstätten vorübergehend auszusetzen. Sie argumentieren, dass die wissenschaftlichen Beweise für die negativen Auswirkungen digitaler Medien auf die Entwicklung und Bildung von Kindern und Jugendlichen immer deutlicher werden. Vor allem bis zur 6. Klasse solle ein zeitlich begrenzter Stopp eingelegt werden.
In einer kürzlich veröffentlichten Petition der Gesellschaft für Bildung und Wissen an die Kultusminister wird betont, dass Schülerinnen und Schüler nur ein Leben und eine Bildungsbiografie haben und daher sorgfältig mit ihnen umgegangen werden müsse. Der Medienpädagoge Ralf Lankau aus Offenburg begründet die Initiative damit, dass immer mehr wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen, dass der Einsatz von Tablets und Laptops im Unterricht die Schüler bis zur 6. Klasse nicht intelligenter, sondern weniger intelligent macht.
Zu den Erstunterzeichnern der Petition gehören renommierte Experten wie der Schulpädagogik-Ordinarius Klaus Zierer sowie die Mediziner Manfred Spitzer und Thomas Fuchs. Lankau verweist auf jüngste Forschungsergebnisse, die belegen, dass der verstärkte Einsatz digitaler Geräte im Unterricht negative Auswirkungen auf die Gesundheit, Psyche und das Sozialverhalten haben kann. Daher sei es erforderlich, den Einsatz digitaler Medien im Unterricht zu beenden.
Die Unterzeichner der Petition kritisieren unter anderem den zunehmenden Einsatz von Datenverarbeitungssystemen an Schulen, die als Künstliche Intelligenz eingesetzt werden, um Schulungen und Tests zu automatisieren. Die jüngste Corona-Pandemie habe gezeigt, dass solche Ersatzsysteme gescheitert seien.
Den Forschern zufolge waren die skandinavischen Länder führend bei der Einführung digitaler Technologien in Bildungseinrichtungen. Allerdings hat die schwedische Regierung in diesem Jahr die Entscheidung ihrer Vorgänger revidiert, Vorschulen im Land verpflichtend mit digitalen Geräten auszustatten. Der Auslöser für die Neubewertung war eine Expertise renommierter Professoren des Karolinska-Instituts in Stockholm. Es gebe keine nachweisbaren Belege für die angeblich positiven Auswirkungen digitaler Bildung. Allerdings gebe es erhebliche negative Konsequenzen für den Wissenserwerb der Schüler, die dem entgegenstehen. Es bestehe die Möglichkeit, dass digitale Medien den Lernprozess und die Entwicklung der Sprachfähigkeiten beeinträchtigen, zu Problemen bei der Konzentration führen und die körperliche Aktivität vernachlässigen lassen.
Im Jahr 2023 veröffentlichte auch die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) Richtlinien. In der Petition wird empfohlen, die Nutzung von Bildschirmen zu verringern. Es wird geraten, dass Kinder keine persönlichen Geräte besitzen und insbesondere keinen ungefilterten, unbeaufsichtigten Zugang zum Internet haben sollten.
Die Experten verweisen zudem auf eine aktuelle Studie der führenden US-Gesundheitsbehörde, die besagt, dass junge Menschen stark von digitalen Medien beeinflusst werden und eine Abhängigkeit entwickeln können. Ein zunehmend langer Gebrauch von digitalen Medien und ein frühes Einsteigen in deren Nutzung führen zu Problemen wie Körperunzufriedenheit, gestörtem Essverhalten, Schlafstörungen, Konzentrationsschwierigkeiten, niedrigem Selbstwertgefühl und Depressionen.
Die Wissenschaftler stellen den Branchenverbänden wie dem Bitkom, die regelmäßig einen erheblichen Nachholbedarf bei der Digitalisierung an Schulen beklagen und für einen Digitalpakt 2.0 werben, den globalen Bildungsbericht 2023 der UNESCO entgegen. Den aktuellen IT-Konzepten für Bildungseinrichtungen zufolge stehen nicht das Lernen und der pädagogische Nutzen im Vordergrund, sondern vielmehr wirtschaftliche Interessen.
Die Petition betont die dringende Notwendigkeit, die einseitige Fokussierung auf Digitaltechnik in Kindertagesstätten und Schulen zu überdenken. Während der geforderten Unterbrechung sei es wichtig, eine interdisziplinäre und wissenschaftlich fundierte Diskussion über die Auswirkungen von IT und KI auf Entwicklungs-, Lern- und Bildungsprozesse in Bildungseinrichtungen zu führen.
Schlagwörter: Digitalisierung + Bildungseinrichtungen + Künstliche Intelligenz
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