Uni Würzburg nutzt Computerspiele für bessere Behandlung von Bewegungsstörungen

Die Universitätsmedizin Würzburg hat zwei wegweisende Artikel in npj Digital Medicine veröffentlicht, die sich mit der Anwendung von Computerspieletechnik zur Diagnose von Tremor und zur Behandlung von Dystonie befassen. Diese Publikationen zeigen, dass die digitalen Neurowissenschaften eine vielversprechende neue Methode darstellen, um Bewegungsstörungen zu diagnostizieren und zu behandeln. Sie könnten eine Revolution in der Diagnostik und Therapie von neurologischen Erkrankungen darstellen, neben den bereits etablierten molekularen und verhaltensorientierten Neurowissenschaften.

Die Anwendung von computergestützten Bilderkennungstechnologien könnte dazu beitragen, die Genauigkeit der Diagnose von Tremor und Dystonie zu erhöhen und die Wirksamkeit von Behandlungen wie der Tiefen Hirnstimulation besser zu überwachen. Professor Dr. Jens Volkmann, Leiter der Neurologischen Klinik am Universitätsklinikum Würzburg (UKW), lobt die beiden aktuellen Veröffentlichungen im Journal npj Digital Medicine als herausragendes Beispiel für interdisziplinäre Zusammenarbeit und wegweisend für die Zukunft.

Dank der engen Kooperation mit Experten aus den Bereichen Mathematik, Physik, Informatik und Ingenieurwissenschaften können Neurologen und Neurologinnen nun endlich ihr klinisches Empfinden formalisieren und Bewegungsstörungen mit einem hohen Maß an Detailgenauigkeit quantifizieren. Volkmann stellt heraus, dass für die Planung von Therapien oder klinische Studien objektive messbare Eigenschaften oder Biomarker erforderlich sind, ähnlich dem Blutdruck in der Inneren Medizin.

In einer umfangreichen, rückblickenden Studie namens „Quantitative assessment of head movement dynamics in dystonia using visual perceptive deep learning“, die an mehreren Standorten durchgeführt wurde, zeigt das Würzburger Team, wie die Bewegungsdynamik des Kopfes bei der neurologischen Erkrankung Dystonie objektiv erfasst werden kann. Eine weitere Untersuchung konzentriert sich auf die Validierung und Anwendung von visuell perzeptiven Algorithmen zur Analyse von Handzittern anhand von Smartphone-Videos.

Die erfolgreiche Anwendung einer Tiefen Hirnstimulation hängt maßgeblich von der genauen Charakterisierung des Tremors ab. Tremor, das unkontrollierte Zittern verschiedener Körperteile wie Hände, Beine, Kopf oder Rumpf, ist eines der häufigsten Symptome bei verschiedenen neurologischen Erkrankungen. Die präzise Diagnosestellung stellt die klinische Neurologie vor eine bedeutende Aufgabe und hat erhebliche Auswirkungen auf die Behandlung.

Bislang waren Methoden wie die 3D-Bewegungserfassung sehr zeitaufwendig und wenig praktisch. Die Beurteilung der Körperhaltung und Bewegungen durch Ärzte basierte oft auf subjektiven Eindrücken, die nicht detailliert genug waren und nicht standardisiert werden konnten. Es wurden verschiedene computergestützte Bilderkennungstechnologien untersucht, um Bewegungen in Videos von Patienten mit Tremor zu verfolgen und wichtige Merkmale des Tremors zu messen. Es war eine bedeutende Schwierigkeit, aus klinischen Videoaufnahmen, die in zweidimensionalem Format vorlagen, dreidimensionale Datensätze zu extrahieren.

Bei der Messung und Quantifizierung des Tremors zeigten die mit Open-Source-Algorithmen durchgeführten Messungen, die in der tierexperimentellen Forschung bereits etabliert sind (DeepLabCut), eine hohe Genauigkeit beim Haltetremor. Allerdings stieß die Software bei der Messung des Intentionstremors an ihre Grenzen. Die Gaming-Community hat eine Lösung für dieses Problem gefunden. Durch den Einsatz einer Software namens Mediapipe, die eigentlich für die Gesichts- und Gestenerkennung in der Unterhaltungselektronik entwickelt wurde, war es möglich, diese komplexen Bewegungen im dreidimensionalen Raum zu verfolgen.

Für die Charakterisierung der Dystonie wurde ein innovativer Ansatz entwickelt, bei dem mittels komplexer neuronaler Netzwerke Muster und Eigenschaften in Videos erkannt werden und deren zeitliche Dynamik gemessen wird. Das Team bezeichnet diese Informationen als „Digitale Biomarker“. Das System wurde anhand von Videodaten aus klinischen Untersuchungen evaluiert und zeigte eine starke Korrelation mit den von den Ärzten zugewiesenen Werten. Als nächstes soll das Tool weiterentwickelt werden und in eine Anwendung für Smartphones und Tablets integriert werden. Durch diese Methode ist es möglich, nicht nur den Schweregrad und die Art der Dystonie zu bestimmen, sondern auch eine kontinuierliche Überwachung zu ermöglichen. Entweder nehmen die Betroffenen selbst Videos auf oder die behandelnden Personen erstellen sie. Im Hintergrund wertet ein Algorithmus das Video aus und liefert objektive Werte, die für medizinische Schlussfolgerungen genutzt werden können.

Die beiden bahnbrechenden Forschungsprojekte sind Ergebnisse der Zusammenarbeit im Sonderforschungsbereich (SFB) Transregio (TRR) 295 ReTune, einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Programm, das interdisziplinäre Arbeit besonders unterstützt.

Schlagwörter: Würzburg + Dystonie + Jens Volkmann

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  • 26. Juni 2024