EU prüft Verlagerung ihrer Cloud-Dienste von Microsoft zu europäischen Anbietern im Zeichen digitaler Souveränität

Die Europäische Union steht vor einer Wende in ihrer digitalen Infrastruktur: Laut Berichten des Fachmagazins Euractiv führt die EU-Kommission fortgeschrittene Verhandlungen mit dem französischen Cloud-Anbieter OVHcloud über einen möglichen Wechsel von Microsoft Azure zu einer europäischen Alternative.

Den unmittelbaren Anstoß für diese Überlegungen lieferte ein Vorfall mit weitreichenden Konsequenzen: Der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH), Karim Khan, wurde aufgrund von US-Sanktionen von seinem Microsoft-basierten E-Mail-Konto abgeschnitten. US-Präsident Donald Trump hatte im Februar Sanktionen gegen das Haager Gericht verhängt, nachdem ein Richterkollegium des IStGH Haftbefehle gegen den israelischen Premierminister Benjamin Netanyahu und seinen ehemaligen Verteidigungsminister Yoav Gallant wegen Kriegsverbrechen im Gazastreifen erlassen hatte.

Microsoft blockierte Khans E-Mail-Zugang daraufhin ohne weitere Umstände, was den 55-jährigen Briten zwang, auf den Schweizer E-Mail-Anbieter Proton zu wechseln. Dieser Vorfall wurde in Brüssel als „Weckruf“ interpretiert und verdeutlichte die Verwundbarkeit europäischer Institutionen gegenüber US-amerikanischen Unternehmen, die unter der Jurisdiktion der US-Regierung stehen.

Neben OVHcloud werden weitere europäische Cloud-Anbieter als mögliche Alternativen geprüft, darunter IONOS aus Deutschland, das französische Unternehmen Scaleway und der italienische Dienstleister Aruba.

Eine Neuerung in der aktuellen Situation ist die organisatorische Umstrukturierung der digitalen Kompetenzen innerhalb der Kommission. Erstmals unterstehen beide zentralen Digitalabteilungen – die Generaldirektion für Kommunikationsnetze, Inhalte und Technologien (DG CNECT) und die Generaldirektion für Digitale Dienste (DG DIGIT) – einer einzigen Kommissionsvizepräsidentin. Henna Virkkunen, die finnische Vizepräsidentin für Technologische Souveränität, Sicherheit und Demokratie, verfügt nun über ein konsolidiertes Mandat.

Die Überlegungen zur digitalen Souveränität werden durch einen kritischen Bericht des EU-Datenschutzbeauftragten Wojciech Wiewiórowski verstärkt. In seiner Entscheidung vom März 2024 stellte er fest, dass die Kommission bei der Nutzung von Microsoft 365 gegen mehrere Bestimmungen der speziellen Datenschutzverordnung für EU-Institutionen verstoßen hat.

Die Verstöße betreffen insbesondere die Übermittlung personenbezogener Daten an Drittstaaten wie die USA, ohne ein hinreichendes Schutzniveau zu gewährleisten. Zudem kritisierte Wiewiórowski, dass die Kommission in ihrem Vertrag mit Microsoft nicht ausreichend spezifiziert habe, welche Arten personenbezogener Daten zu welchen expliziten Zwecken erhoben werden. Der Datenschutzbeauftragte setzte der Kommission eine Frist bis Dezember 2024, um alle nicht-konformen Datenströme an Microsoft einzustellen.

Die Überlegungen zum Cloud-Wechsel fügen sich auch in eine größere strategische Initiative ein: EuroStack. Diese Initiative, die von einer parteiübergreifenden Koalition im Europäischen Parlament unterstützt wird, zielt darauf ab, eine umfassende europäische digitale Infrastruktur zu entwickeln.

Die EuroStack-Initiative adressiert eine alarmierende Abhängigkeit: Über 80 Prozent der digitalen Technologien und Infrastrukturen Europas werden importiert, und 70 Prozent der weltweit genutzten grundlegenden KI-Modelle stammen aus den USA. Europäische Unternehmen verantworten lediglich 7 Prozent der globalen Forschungsausgaben für Software und Internet.

Das Konzept umfasst Investitionen in gemeinsame IT-Plattformen, Datenräume, Standards und koordinierte Strategien. Zu den Kerntechnologien gehören Halbleiter, Netzwerke und Satelliten, Software, Cloud-Computing, Quantentechnologie, das Internet der Dinge sowie Daten und KI.

Microsoft reagiert auf die wachsenden Souveränitätsforderungen mit umfangreichen Zusicherungen und neuen Angeboten. Das Unternehmen kündigte im April 2025 fünf neue „Digitale Europäische Verpflichtungen“ an, um sein Engagement für digitale Souveränität, Sicherheit und Wirtschaftswachstum in Europa zu unterstreichen.

Zu den wichtigsten Maßnahmen gehört eine Erweiterung der Datencenter-Kapazitäten in Europa um 40 Prozent in den nächsten zwei Jahren, mit einer geplanten Verdopplung bis 2027. Microsoft plant außerdem die Einrichtung einer „Microsoft Cloud for Sovereignty“, die Regierungen mehr Kontrolle über Datenstandorte und -zugriff bieten soll.

Das Unternehmen führte zudem ein „Digital Resilience Commitment“ ein, das rechtliche Schritte gegen potenzielle Anordnungen zur Schließung von Cloud-Diensten in Europa vorsieht. Zusätzlich sollen europäische Tochtergesellschaften mit rein europäischer Führung und klaren Notfallplänen die digitalen Infrastrukturen unabhängig sichern.

Schlagwörter: Microsoft Azure + OVHcloud + Euractiv
(pz)

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  • 20. Juni 2025