Yann LeCun, einer der weltweit führenden KI-Forscher, musste im Jahr 2021 erkennen, dass er einen Fehler gemacht hatte. In seiner Position als führender Wissenschaftler im KI-Labor von Meta hatte er versucht, Maschinen ein grundlegendes Verständnis der Funktionsweise der Welt zu vermitteln. Doch stellte sich heraus, dass es zu anspruchsvoll war, die zukünftigen Sequenzen eines Videos pixelgenau vorherzusagen. LeCun musste feststellen, dass er mit seinem Ansatz an Grenzen gestoßen war.
Nach intensiver Suche nach dem fehlenden Puzzlestück enthüllte LeCun eine innovative neue Vision für die nächste Generation der KI. In einem Entwurf, den er 2022 mit MIT Technology Review geteilt hat, skizziert er einen Ansatz, der Maschinen in Zukunft den nötigen gesunden Menschenverstand verleihen könnte, um sich erfolgreich in der Welt zurechtzufinden. Diese Idee könnte möglicherweise den Anfang einer Entwicklung darstellen, bei der Maschinen fähig sind, menschenähnliches Denken und vorausschauendes Planen zu erreichen – die sogenannte allgemeine Künstliche Intelligenz (AGI).
LeCun distanziert sich dabei von aktuellen Trends im Bereich des maschinellen Lernens und bringt stattdessen einige veraltete Ideen zurück, die in Vergessenheit geraten waren. Seine Vision ist jedoch noch lange nicht vollständig und wirft mehr Fragen auf, als sie beantwortet. Die größte Unsicherheit besteht darin, wie LeCun das, was er beschreibt, konkret umsetzen soll.
Der Kern seines neuen Ansatzes besteht aus einem neuronalen Netzwerk, das in der Lage ist, die Welt auf verschiedenen Detailstufen zu betrachten und zu erlernen. Anders als bei seinem vorherigen Versuch, pixelgenaue Vorhersagen zu treffen, fokussiert sich dieses Netzwerk lediglich auf die relevanten Merkmale einer Szene für die jeweilige Aufgabe. LeCun verbindet dieses Kernnetzwerk mit einem weiteren, dem sogenannten Konfigurator, der bestimmt, welcher Detailgrad erforderlich ist, um korrekt zu funktionieren, und das Gesamtsystem entsprechend anpasst.
LeCun sieht eine Zukunft, in der eine AGI Teil unserer Interaktion mit Technologie sein wird. Seine Vorstellung ist stark von der seines Arbeitgebers Meta geprägt, der die Entwicklung eines Metaversums in der virtuellen Realität vorantreibt. Gemäß seiner Ansicht werden die Menschen in 10 oder 15 Jahren keine Smartphones mehr bei sich tragen, sondern Augmented-Reality-Brillen nutzen, die mit virtuellen Assistenten ausgestattet sind. Diese Assistenten werden die Nutzer durch ihren Tag begleiten und im Wesentlichen über eine mehr oder weniger menschenähnliche Intelligenz verfügen müssen.
Yoshua Bengio, KI-Forscher an der Universität von Montreal und wissenschaftlicher Direktor am Mila-Quebec-Institut, unterstützt LeCuns Ideen. Er ist der Meinung, dass LeCun die richtigen Fragen stellt und findet es faszinierend, dass er bereit ist, ein Dokument zu veröffentlichen, das so wenige Antworten enthält. Bengio sieht LeCuns Entwurf eher als Forschungsvorschlag denn als konkrete Ergebnisse. Solche Themen werden normalerweise nicht öffentlich gemacht, daher ist es bemerkenswert, dass LeCun seine Ideen mit der Öffentlichkeit teilt.
LeCun ist seit fast vier Jahrzehnten in der KI-Forschung tätig. Im Jahr 2018 wurde er zusammen mit Bengio und Geoffrey Hinton mit dem Turing Award ausgezeichnet, einem der renommiertesten Preise der Informatik, für ihre wegweisenden Arbeiten im Bereich des Deep Learning. Sein Lebensziel war es, Maschinen dazu zu bringen, sich wie Menschen und Tiere zu verhalten. Dabei spielt das Konzept des “Weltmodells” eine zentrale Rolle. LeCun ist der Ansicht, dass Menschen und Tiere eine Art Simulation der Welt durchführen, die es ihnen ermöglicht, gute Vermutungen darüber anzustellen, was in ihrer Umgebung vor sich geht. Dieses Modell erlernen wir bereits im Säuglingsalter und es ermöglicht uns, die Konsequenzen unserer Handlungen vorauszusehen und entsprechende Pläne zu erstellen.
Es gestaltet sich als herausfordernd, Maschinen einen gesunden Menschenverstand zu vermitteln. Um solche Muster zu erkennen, müssten den heutigen neuronalen Netzen Tausende von Beispielen gezeigt werden, bevor sie damit beginnen können. LeCuns neuer Ansatz könnte hier einen wichtigen Fortschritt bedeuten, doch es bleibt abzuwarten, wie er konkret umgesetzt werden kann und welche Herausforderungen noch auf dem Weg zur AGI gelöst werden müssen.
Schlagwörter: Yann LeCun + Künstliche Intelligenz KI + Gesunder Menschenverstand
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